Ferienwohnungen (Airbnb) und Zweckentfremdung
BayVGH lässt Berufung des Diensteanbieters gegen den Auskunftsbescheid einer Gemeinde „wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit“ zu und regt die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Bescheids an.
Mit Beschluss vom 20.08.2019 (Az. 12 ZB 19.333) ließ der BayVGH die Berufung gegen das Urteil des VG München vom 12.12.2018, Az. M 9 K 4553, wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochteten Entscheidung zu.
Was ist passiert?
Die Klägerin („Airbnb“) betreibt eine Internetplattform, auf der registrierte Nutzer Wohnungen insbesondere für kurze Zeiträume an Interessierte vermieten können. Diese für Kurzzeitvermietungen genutzten Wohnungen stehen in den Gemeinden in der Regel daher nicht für den teils hohen Bedarf an Wohnraum für die örtliche Bevölkerung zur Verfügung, was die örtlichen Wohnungsmärkte, gerade in Ballungszentren, zusätzlich strapaziert. Der Gesetzgeber hat reagiert und mit dem Zweckentfremdungsgesetz (ZwEWG) eine gesetzliche Grundlage geschaffen, die es Gemeinden ermöglicht, für Gebiete, in denen die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist, durch Satzung derartige Kurzzeitvermietungen einzuschränken.
Zweckentfremdungssatzungen
Die meisten der größeren bayerischen Gemeinden haben hiervon mittlerweile entsprechend Gebrauch gemacht. Die jeweiligen Satzungen, welche ungenehmigte Zweckentfremdung von Wohnungen meist mit einem Bußgeld belgen, beinhalten eine diesbezügliche Verpflichtung zur Auskunftserteilung über die für die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten in diesem Zusammenhang notwendigen Tatsachen durch die jeweiligen Verfügungsberechtigten, Besitzer, Verwalter, Vermittler und Diensteanbieter im Sinne des Telemediengesetzes (TMG).
Auskunftsbescheid
Die beklagte Gemeinde adressierte einen solchen Auskunftsbescheid an die Klägerin und verlangte unter Androhng eines Zwangsgeldes in Höhe von € 300.000,- Auskunft über die Anschriften, Namen der Gastgeber und konkrete Buchungszeiträume von Wohnungen, welche auf der Internetplattform der Klägerin im Gemeindegebiet der Beklagten angeboten werden und tatsächlich mehr als acht Wochen im Kalenderjahr (was gemäß der entsprechenden Satzung tatbestandlich eine Zweckentfremdung darstellen würde) vermietet wurden. Hinsichtlich der gemeindlich geschätzten ca. 1.000 betroffenden Wohnungen bestehe nach Ansicht der Gemeinde ein Anfangsverdacht für den Verstoß gegen die entsprechende Zweckentfremdungssatzung, welchem anhand der begehrten Informationen nachgegangen werden sollte, um eine anschließende Einzelfallbearbeitung und gegebenenfalls Ahnung zu ermöglichen. Die Klägerin sei Diensteanbieter im Sinne des Telemediengesetzes (§ 2 S. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 2a Abs. 1 TMG) und daher zur entsprechenden Auskunft verpflichtet.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Klage und begründete diese in materiell-rechtlicher Hinsicht vor allem damit, dass die Bescheid erlassene Behörde weit im Vorfeld eines hinreichenden Tatverdachts eine Vielzahl von Nutzerdaten abfrage und dieses Auskunftsverlangen einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Berufsfreiheit des betroffenen Unternehmens darstelle.
Vorinstanzen:
VG München
Mit Urteil vom 12.12.2018 wies das VG München die Klage als unbegründet ab (Az. M 9 K 4553). Die Auskunftsanordnung sei formell und materiell rechtmäßig. Durch die einzelnen Parameter der Auskunftsanordnung sei sichergestellt, dass eine Auskunft nicht ins Blaue hinein eingeholt werde, sondern nur aufgrund eines hinreichenden Anfangverdachts erfolge. Eine Zweckentfremdung liege satzungsgemäß bei einer Vermietung vor, die länger als acht Wochen im Kalenderjahr andauere und mehr als 50% der Gesamtfläche der Wohneinheit betreffe. Diesem Anknüpfungspunkt sei mit dem eingeschränkten Auskunftsverlangen Rechnung getragen, sodass insoweit ein hinreichender Anfangsverdacht für eine tatbestandliche Zweckentfremdung bestehe. Dass in einigen Fällen mitunter eine satzungsgemäße Ausnahmegenehmigung bzw. Erlaubnis vorliegen könnte, komme erst auf nachfolgender Ebene im Rahmen der Einzelfallprüfung zum Tragen, da eine Zweckentfremdung tatbestandlich auch erfüllt sei, wenn sie genehmigungsfähig oder gar genehmigt sei. Die Auskunftsanordnung sei ferner auch mit den Regelungen des TMG vereinbar, da die Klägerin weder eine allgemeine Rechtmäßigkeitsprüfung vornehmen noch nach Umständen forschen solle, die auf eine rechtswidrige Tat hindeuten. Sie solle lediglich vorhandene Daten nach konkret vorgegebenen Parametern zusammenstellen und übermitteln.
Zulassung der Berufung
Gegen diese Entscheidung beantragte die Klägerin die Zulassung der Berufung und machte ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung, eine grundsätzliche Bedeutung sowie deren besondere rechtliche Schwierigkeiten geltend. Sie begründete dies unter anderem mit Zweifeln an der vom Verwaltungsgericht angenommenen Rechtmäßigkeit der Rückwirkung der Auskunftserhebung, da es insoweit an einer tragfähigen Ermächtigungsgrundlage fehle. Ferner begegne auch die Auslegung der Auskunftsverpflichtung durch das Gerichts und der Gemeinde Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz. Insbesondere fehle der erforderliche Einzefallbezug. Die Beklagte benenne keine konkreten Inserate oder Nutzer und frage keine konkretisierten Daten in einem Einzelfall ab. Es handele sich bei der Anfrage der Beklagten um eine unzuläsige breit angelegte Datenerhebung entsprechend einem Raster.
Entscheidung des BayVGH:
Der BayVGH ließ die Berufung gegen das Urteil des VG München vom 12.12.2018, Az. M 9 K 4553 mit Beschluss vom 20.08.2019, Az. 12 ZB 19.333, zu.
„Die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 12. Dezember 2018 begegnet ernstlichen – nict zuletzt verfassungsrechtlichen – Zweifeln hinsichtlich ihrer Richtigkeit (…) unterliegt darüber hinaus aber auch erheblichen einfach-rechtlichen Bedenken.“
Kollision von Bundes- und Landesrecht
Der streitgegenständliche Bescheid sei schon wegen Nichtbeachtung höherrangigen Bundesrechts (§ 14 Abs. 2 TMG) „offensichtlich“ materiell rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten.
Der BayVGH weist auf die im Rahmen eines Datenaustausches zur staatlichen Aufgabenwahrnehmung streng zu trennende Datenübermittlung der auskunftserteilenden Stelle einerseits und dem Datenabruf durch eine auskunftsersuchende Stelle hin. Die zum Datenaustausch erforderlichen korrespondierenden Eingriffe von Abfrage und Übermittlung bedürften jeweils einer eigenen Rechtsgrundlage.
Der Gesetzgeber müsse daher, bildlich gesprochen, nicht nur die Tür zur Übermittlung von Daten öffnen, sondern zugleich auch die Tür zu deren Abfrage. Erst beide Rechtsfrundlagen gemeinsam, die gleichsam wie eine „Doppeltür“ zusammenwirken und ineinandergreifen müssen, vermögen einen Austausch personenbezogener Datern zu legimentieren.
Sowohl die beklagte Gemeinde als auch das Verwaltungsgericht hätten diese zwingenden Vorgaben des BVerfG (vgl. BVerfGE 130, 151 [184]) berücksichtigt.
Abfrage – wenn überhaupt – nur im tatsachenbezogenen Einzelfall
Als Rechtsgrundlage für die Datenabfrage ließen sich die Zweckentfremdungsvorschriften (ZwEWG als auch gemeindliche Satzung), für die Datenübermittlung die bundesrechtlichen Vorschriften des TMG identifizieren. Der Diensteanbieter müsse und dürfe auf der Grundlage von § 14 Abs. 2 TMG nur dann Auskunft erteilen, wenn er durch diese Vorschrift selbst zur Auskunftserteilung berechtigt werde und zusätzlich die anfragende Behörde eine korrespondierende, passgenaue spezielgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für den Auskunftsanspruch, die Übermittlung und den Empfang der Daten ins Feld führen könne.
In diesem Kontext falle unvermittelt auf, dass die bundesrechtliche Norm („datenschutzrechtliche Öffnungsklausel“, § 14 Abs. 2 TMG) dem Diensteanbieter eine Erteilung von Auskünften ausdrücklich nur „i m E i n z e l f a l l“ gestatte, während die landesrechtlichen Regelungen „jedenfalls in der Auslegung und Anwendung des streitgegenständlichen Bescheids“ eine generelle und flächendeckende Auskunftserteilung beanspruchen.
Soweit die Beklagte sich Auskünfte in schätzungsweise ca. 1.000 Fällen angeblich zweckentfremdeter Wohnungen erhoffe, sei das Tatbestandsmerkmal „im Einzelfall“ des § 14 Abs. 2 TMG unzweifelhaft nicht (mehr) erfüllt. Jedenfalls in der Auslgeung der beklagten Gemeinde habe der landesrechtliche Gesetzgeber die Tür zur Abfrage personenbezogener Daten durch Behörden somit weiter geöffnet als der Bundesgesetzgeber die Tür zu deren Übermittlung durch den Diensteanbieter. Da ein Datenaustausch jedoch nur dann erfolgten dürfe, wenn beide Türen gleich weit geöffnet seien, greife der angegriffene Bescheid bereits deshalb ins Leere. Im Lichte des von Verfassungs wegen vorgegebenen Grundsatzes müssten zudem die landesrechtlichen Zweckentfremdungsvorschriften aufgrund der höherrangigen bundesrechtlichen Vorschriften des TMG so ausgelegt und angewendet werden, dass sie eine Abfrage von personenbezogenen Daten „wenn überhaupt“ ebenfalls nur im Einzelfall ermöglichten.
Verfassungsrechtliche Bedenken
Zudem äußert der BayVGH auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Auslegung der Behörde. Selbst im Rahmen eine Einzelfallabfrage liege ein grundsätzlicher Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vor, welcher daher einer gesetzlichen Grundlage bedürfe und verhältnismäßig sein müsse. Die Beklagte begehrt vorliegend jedoch Auskünfte ohne konkrete Anschriften oder Namen angeben zu können, gerade auf Grundlage eines nur abstrakten Gefahrenverdachts „und damit letztlich ‚ins Blaue hinein'“, um – wie sie zugesteht – mit den auf Vorrat erhobenen Datensätzen ihre eigene Ermittlungstätigkeit überhaupt erst aufzunehmen. Auch der Umstand, dass die Beklagte „lediglich“ solche Räume abfrage, die mehr als ingesamt acht Wochen im Kalenderjahr vermietet werden, lege das Vorliegen einer tatbestandlichen Zweckentfremdung nicht nahe. Die Beklagte unterwefe insoweit alle genehmigten Gewerberaumvermietungen sowie alle Räume, für die nach der gemeindlichen Satzung ein Tatbestand der Genehmigung erfüllt wurde, sehenden Auges ihrem Auskunftsersuchen. Dem könne gerade nicht entgegengehalten werden, eine Zweckentfremdung sei auch dann (noch) gegeben, wenn sie genehmigungsfähig oder inwischen tatsächlich genehmigt worden sei. Die diesbezügliche Betrachtung des Verwaltungsgerichts „entbehrt jeder rationalen Grundlage“.
Der angefochtene Bescheid könne daher auch von Verfassungs wegen keinen Bestand haben. Die Klägerin dürfe Auskünfte nur „im Einzelfall“ und auch nur auf „einzelfallbezogener Tatsachenbasis“ erteilen.
Der BayVGH regte für den weiteren Verfahrensfortgang die ersatzlose Aufhebung des angefochteten Bescheids an.Lediglich insoweit, als das Verwaltungsgericht von der formellen Rechtmäßigkeit des Bescheides ausgegangen ist, begegne die Entscheidung nach Ansicht des BayVGH keinen rechtlichen Bedenken.
Es bleibt der weitere Verfahrensverlauf abzuwarten.
Für weitergehende Fragen oder Informationen wenden Sie sich gerne an Herrn RA Dr. Klaus-R. Luckow und Frau RAin Hanna Straub.
(DS)