22. April 2016 · Haftungsrecht

Verkehrssicherungspflicht bei rundumverglastem Raum

Das Oberlandesgericht Hamm hatte mit Hinweisbeschluss vom 13.08.2015 (Az. I 9 U 139/15) über die Erfolgsaussichten der Berufung der Klägerin gegen ein klageabweisendes Urteil des Landgerichts Essen zu entscheiden. Das Landgericht Essen hatte die Klage der Klägerin abgewiesen, mit welcher diese Schadensatz und Schmerzensgeld von der Beklagten wegen einer Verkehrssicherungspflichtverletzung verlangte.

Die Klägerin war Referentin einer von der Beklagten organisierten Tagung. Die von der Beklagten angemieteten Tagungsräume verfügten über einen vollverglasten Sitzungsraum. Bei dem Versuch den Sitzungsraum zu verlassen, prallte die Klägerin gegen die Glaswand. Hierbei wurde die Oberkieferprothese beschädigt.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz wegen der Beschädigung der Oberkieferorthese sowie Schmerzensgeld.

Das Landgericht Essen hat die Klage der Klägerin abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin wurde nach dem Hinweisbeschluss des OLG Hamm vom 13.08.2015 (Az. I 9 U 139/15) zurückgenommen.

 

In seinem Hinweisbeschluss führt der Senat aus, dass mangels vertraglicher Beziehung zwischen der Klägerin und der Beklagten eine Haftung nur unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflichtverletzung nach § 823 BGB in Betracht käme.

 

Der Senat verneint bereits das Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht der Beklagten. Soweit aus der architektonischen Gestaltung des Gebäudes eine Gefahrenstelle resultiere, treffe die hieraus entstehende Verkehrssicherungspflicht nicht die Beklagte als Veranstalterin, sondern den Grundstückseigentümer. Verkehrssicherungspflichten können delegiert werden. Dann verkürzen sich die Verkehrssicherungspflichten des ursprünglich Verantwortlichen auf Kontroll- und Überwachungspflichten. Wer sie übernehme, hafte aus Delikt. Die deliktische Einstandspflicht des Beauftragten bestehe auch dann, wenn der Vertrag mit dem Primärverkehrssicherungspflichtigen nicht rechtswirksam zustande gekommen sei. Entscheidend sei allein, dass der in die Verkehrssicherungspflicht Eintretende faktisch die Verkehrssicherung übernehme und daher Schutzvorkehrungen durch den primär Verkehrssicherungspflichten unterblieben, weil sich dieser auf das Tätigwerden des Beauftragten verlasse. Hierfür sei aber Voraussetzung, dass die Delegation klar und eindeutig vereinbart werde. Erst dann verenge sich die Verkehrssicherungspflicht des Eigentümers auf Kontroll- und Überwachungspflichten.

Die Klägerin habe aber gar nicht behauptet, dass die Verkehrssicherungspflichten auf die Beklagte übertragen worden seien. Dies habe die Beklagte auch vertraglich nicht übernommen. Die Beklagte habe lediglich für die Bereitstellung der Räume und die Beschaffenheit der Technik und ausreichend Bestuhlung einstehen müssen.

Selbst wenn der mit der Organisation und Durchführung einer Tagung Beauftragte grundsätzlich als verkehrssicherungspflichtig für solche Umstände anzusehen sei, die mit der bestimmungsgemäßen Nutzung der Tagungsräume durch die Teilnehmer einhergehen, habe die Beklagte keine Verkehrssicherungspflicht verletzt.

Nach ständiger Rechtsprechung habe der Verkehrssicherungspflichtige darauf hinzuwirken, dass die Verkehrsteilnehmer in diesem Bereich nicht zu Schaden kommen. Dabei müsse der Verkehrssicherungspflichtige nicht für alle entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorkehrungen treffen. Eine Sicherung, die jeden Unfall ausschließe, sei praktisch nicht erreichbar. Vielmehr seien Vorsorgemaßnahmen nur dann geboten, wenn sich die naheliegende Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung anderer ergebe. Dies sei dann zu bejahen, wenn eine Gefahrenquelle trotz Anwendung der von den Verkehrsteilnehmern zu erwartenden eigenen Sorgfalt nicht rechtzeitig erkennbar sei oder diese sich auf die Gefahrenlage nicht rechtzeitig einstellen könnten.

Hiervon ausgehend, habe das Landgericht mit zutreffender Begründung das Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht verneint. Die Rundumverglasung erschließe sich für den Besucher auf den ersten Blick. Der Zugangsbereich hebe sich farblich ab. Die Erkennbarkeit des Zugangsbereiches sei auch dadurch gesteigert, dass sich der ca. 3 m hohe Türrahmen mit seinen Zargen deutlich in den Raum erstrecke. Der Vorwurf der Klägerin, dass die Lichtverhältnisse nicht ausreichend gewesen seien, wurde nur pauschal erhoben. Der Senat wertet diesen Vortrag daher als unsubstantiiert. Im Übrigen sei das Eigenverschulden der Klägerin so dominant, dass eine eventuelle Verkehrssicherungspflichtverletzung dahinter zurück trete.

 

Ansprechpartner:

Rechtsanwältin Kathrin Graml-Hauser

Rechtsanwalt Dr. Georg Graml